Der Vorsitzende Carsten Liebig sagt, weshalb der Vorstand keine andere Lösung sieht. Fehlendes Geld ist nicht die Ursache.
Von Frank Thümmler
Quelle: Sächsische Zeitung vom 23.09.2016
Das Ende kam plötzlich und unerwartet. Der Vorstand des NFV Gelb-Weiß Görlitz hat auf seiner Sitzung am Dienstagabend beschlossen, die erste Männermannschaft mit sofortiger Wirkung aus dem Spielbetrieb in der Landesliga zurückzuziehen. Gerüchte, dass es zu einem solchen Schritt kommen könnte, gab es in den vergangenen Monaten immer wieder. Als möglicher Grund kursierte, dass der Verein große Schwierigkeiten habe, ein entsprechendes Budget für eine Landesliga-Mannschaft zusammenzubekommen. „Am Geld liegt es nicht, dass wir jetzt die Reißleine ziehen“, sagt Liebig. „Wir hatten einen Finanzplan aufgestellt und darin zwar den Etat für die erste Mannschaft gekürzt. Aber an unsere Vorgaben haben wir uns gehalten, die Landesliga-Saison wäre aus finanzieller Sicht gesichert. Der Grund für unseren Rückzug ist ein ganz anderer: Wir als ehrenamtliche Vorstände haben ganz einfach die Sch… voll“, rutscht es dem sonst für seine Rückhaltung bekannten Bombardier-Manager heraus.
Bereits im Mai war der Verein wegen einer Razzia in die Schlagzeilen geraten. Damals ging es darum, ob in Polen lebende Ukrainer mit einem polnischen Touristenvisum in Görlitz trainieren und spielen dürfen. Die Bundespolizei suchte nach Hinweisen, dass die betreffenden Spieler doch nicht in Polen, sondern in Deutschland leben, dass sie hier doch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, also Geld verdienen. Beides bestreitet der Verein bis heute.
Wie es weiterging, regt Carsten Liebig bis heute auf: „Die haben uns die komplette Geschäftsstelle ausgeräumt. Bis jetzt haben wir unsere Unterlagen nicht zurück. Und wie es in dem Verfahren steht, ob und wenn ja was uns überhaupt vorgeworfen wird, ist nicht zu erfahren, auch nicht von den Rechtsanwälten. Das ist für die Vorstände, die zwar ehrenamtlich arbeiten, aber privat haften, über diesen langen Zeitraum unerträglich.“ Till Neumann, Pressesprecher der Görlitzer Staatsanwaltschaft bestätigt: „Die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen und Speichermedien dauert noch an. Wir sind verpflichtet, bei Verdacht von Straftaten zu ermitteln. Die Verfahrensbeteiligten werden zu gegebener Zeit Akteneinsicht erhalten.“
Verhaftung zweier Spieler
Für den NFV das Fass zum Überlaufen brachte ein Vorfall vor drei Wochen. Um den für eine Landesliga-Saison zu schmalen Kader aufzustocken, hatten die Görlitzer einen Kooperationsvertrag mit einer polnischen Sportagentur geschlossen. Die hat Spieler unter Vertrag, die in Europa Fuß fassen wollen und sich im Görlitzer Landesligateam „ins Schaufenster stellen“ könnten. Eine Bezahlung der Spieler durch den Verein erfolgt laut Liebig nicht. Eine ähnliche Konstellation wie im Mai also. Nur waren es damals Ukrainer, diesmal Brasilianer. Hintergrund: Die Ukraine steht laut Bundespolizei-Auskunft auf einer Negativliste, Brasilien nicht.
„Wir haben alles offen kommuniziert, beim Deutschen Fußballbund alles geklärt und das Spielrecht für diese Spieler erhalten. Unser Trainer war bei der Bundespolizei und hat sich dort beraten lassen. Die Spieler wurden bei Einreisen mehrfach kontrolliert – ohne Beanstandungen. Aber dann hat die Bundespolizei zwei Spieler bei der Einreise vor einem Training verhaftet“, schildert Liebig. Der Verein wurde darüber nicht informiert, die beiden Brasilianer verbrachten eine Nacht im Gefängnis, bevor sie Trainer Fred Wonneberger dort abholen konnte.
Die Bundespolizei bestätigt diesen Vorgang. Bei der Überprüfung der mitgeführten gültigen Reisepässe der Brasilianer hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die beiden Männer ihre Aufenthaltszeiträume im Schengen-Raum (mehr als 90 Tage binnen 180 Tagen) deutlich überschritten hatten. Den langen Gewahrsam begründet die Bundespolizei mit der Suche nach einem Portugiesisch-Dolmetscher, der schließlich aus Dresden geholt wurde. Danach habe man erst erfahren, dass beide Spieler des NFV Gelb-Weiß Görlitz seien. Auch Beratungen mit Fred Wonneberger bestätigt die Bundespolizei. Ihm sei allerdings dringend empfohlen worden, sich auch mit der Ausländerbehörde und dem Zoll in Verbindungen zu setzen.
Keine Lösung für den Spielerkader
Natürlich waren die zwischenzeitlich festgesetzten Spieler und auch die anderen der polnischen Sportagentur fortan nicht mehr gesehen. Liebig: „Wir wissen nicht, ob es jetzt wieder Ermittlungen gegen uns gibt, ob irgendwelche Strafen angedroht sind, die am Ende sogar den gesamten Verein gefährden könnten. Also scheidet dieser Weg mit der polnischen Sportagentur für uns aus. Mit dem kleinen Kader stehen wir aber keine Saison durch. Das und weil wir alle mit unserem ehrenamtlichen Engagement schon lange an unsere Grenzen gekommen sind, hat uns veranlasst, die Mannschaft zurückzuziehen.“
Liebig ist auch enttäuscht über die Stadt, über mangelnde Unterstützung insgesamt und aktuelle Entscheidungen zum Nachteil des Vereins zuletzt. Ein Beispiel: „Die Stadt hat uns die aktuellen Hallenzeiten für das Wintertraining mit dem Nachwuchs gekürzt, obwohl wir mehr Mannschaften als im vergangenen Winter haben und überall hochklassig spielen. Zusätzlich wurden Trainingszeiten der Männer auf der Eiswiese zeitlich nach vorn, auf 17 Uhr verlegt. Unmöglich für die meisten Spieler, um diese Zeit da zu sein.“
Dieser Kritik widerspricht Wulf Stibenz, Pressesprecher der Stadt: „Von einer fehlenden Unterstützung des NFV durch die Stadtverwaltung kann nicht die Rede sein.“ Man habe die vergebenen Sporthallen-/Sportplatzzeiten für die Monate Dezember 2015 und 2016 verglichen. Die Vergabezeit 2016 liegt dabei über der des Vorjahres. Was die Trainingszeiten auf dem Sportplatz Eiswiese betrifft, hat die Männermannschaft des NFV wöchentliche Trainingszeiten am Dienstag, von 18 bis 20 Uhr, am Donnerstag, von 17 bis 19 Uhr. Ein Antrag auf Veränderung liege der Stadtverwaltung nicht vor – es ist also zeittechnisch wie 2015. Stibenz räumt andererseits ein, dass wegen laufender Baumaßnahmen im Stadion der Freundschaft und in Sporthallen der Stadt Görlitz insgesamt weniger Zeiten zur Verfügung stehen und immer ein Konsens mit allen Görlitzer Sportvereine gefunden werden muss. Der Verein bestätigt, dass schon im Vorjahr eine Trainingszeit ab 17 Uhr zur Verfügung stand, die der Nachwuchs nutzte. Die Männer trainierten ab 18.30 Uhr und hatten durch eine Absprache mit einem anderen Verein von 19.30 bis 20 Uhr noch den halben Platz zur Verfügung – nun nicht mehr.
Viele offen Fragen
Für Carsten Liebig und seine Mitstreiter ist das ganze Hick-Hack zu viel geworden. Wie es für den Verein insgesamt weitergeht, ist ziemlich offen. Die Landesligaspieler dürfen erst in der Winterpause zu einem anderen Verein wechseln. Die zweite Mannschaft, die in der Kreisoberliga spielt, soll erhalten bleiben. Es ist aber keineswegs sicher, dass das gelingt, erst recht über den Winter hinaus. Das Nachwuchskonzept, die Görlitzer spielen in allen Altersklassen in der Landesklasse, von der C- bis zur A-Jugend in Spielgemeinschaften mit Eintracht Niesky, soll unbedingt erhalten bleiben. Ob das langfristig gelingt, ist genauso unsicher, wenn es kein Aushängeschild und Ziel für die Nachwuchsfußballer im Männerbereich mehr gibt.
Die größte Gefahr für den Fortbestand des Vereins geht aber von einer für den November geplanten Mitgliederversammlung aus, auf der der Vorstand neu gewählt werden soll. Den Äußerungen Liebigs ist zu entnehmen, dass sich mindestens ein Teil der bisherigen Vorstände keine weitere Wahlperiode mehr antun wird. Liebig selbst will auf keinen Fall weiter Vorsitzender sein, auch nicht für eine Übergangszeit. „Das hat nicht einmal mit den aktuellen Dingen zu tun. Das war schon klar, als ich 2014 eingesprungen bin“, sagt Liebig. Neue Ehrenamtliche zu finden, die unter den jetzigen Bedingungen die Verantwortung übernehmen, dürfte ausgesprochen schwierig werden.