Der Fußballverein NFV Gelb-Weiß Görlitz stand am Abgrund. Jetzt tritt ein neues Team an: Präsident und Vorstandsvorsitzender antworten im Interview.
Von Frank Thümmler, Quelle: Sächsische Zeitung vom 08.12.2016
Positiv waren die Schlagzeilen, die der Niederschlesische Fußballverein (NFV) Gelb-Weiß Görlitz in den vergangenen knapp drei Jahren gemacht hat, nur selten. Beginnend mit der turbulenten und schmerzhaften „Scheidung“ vom damaligen Vorstandsvorsitzenden Hagen Grothe und weiterer Vorstandsmitglieder im April 2014, über ständig auftauchende und aus der Welt zu räumende Gerüchte über den Rückzug der Landesligaelf, die Präsentation eines dubiosen Investors als Rettungsanker vor einem Jahr, über die Durchsuchung der Geschäftsstelle durch die Bundespolizei und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit ausländischen Spielern beim NFV im Mai dieses Jahres bis hin zum tatsächlichen Rückzug der Landesliga-Mannschaft vor gut zwei Monaten.
Das „Schiff NFV“ war alles andere als im sicheren Fahrwasser, wie es Präsident Carsten Liebig vor der Mitgliederversammlung vor zwei Jahren noch glaubte. Im Gegenteil, es drohte zu sinken. Vor der Mitgliederversammlung Ende November musste ein fast komplett neuer Vorstand gefunden werden, der dieses angeschlagene Schiff steuert. Das ist gelungen. Carsten Liebig, in den vergangenen Jahren auch Vorstandsvorsitzender, macht als Präsident weiter. Harald Twupack ist der neue Vorstandsvorsitzende. Im SZ-Interview erklären beide, warum sie sich das antun und wie sie die Aufgabe anpacken wollen.
Herr Liebig, Herr Twupack – nach dieser jüngeren Vorgeschichte im Verein, warum tun Sie sich diese Aufgaben an?
Liebig: Sollten jetzt 107 Jahre Geschichte zu Ende gehen? Ich hänge mit dem Herzen an diesem Verein, engagiere mich schon seit 26 Jahren für ihn. Außerdem haben wir in den letzten beiden Jahren so viele große Probleme aus dem Weg geräumt, das soll nicht umsonst gewesen sein.
Twupack: Ich bin durch die Mitglieder und Fans angesprochen und ermuntert worden. Für mich war das keine leichte Entscheidung, weil ich neben meiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit auch als Stadtrat und in anderen Funktionen oft gefordert bin. Auf der anderen Seite bin ich ein Kind des NFV, habe im Nachwuchs gespielt und kicke jetzt bei den Senioren gelegentlich mit, habe mich in den vergangenen Jahren im Präsidium schon um die Beziehungen des Vereins zur Stadt gekümmert. Unser Slogan ,Tradition verpflichtet’ ist Anspruch. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Verein Substanz hat, dass er auch in Zukunft seiner Leuchtturmfunktion unter den Fußballvereinen der Region gerecht werden und wieder heller leuchten kann, das aber auf Augenhöhe mit allen anderen regionalen Fußballvereinen.
Wann haben Sie sich entschieden, den Vorstandsvorsitz zu übernehmen?
Twupack: Endgültig erst am Tag der Wahl. Für mich ganz wichtig war, dass wir so viele Mitglieder gefunden haben, die im Vorstand mitarbeiten wollen. Wir sind so breit aufgestellt wie wohl noch nie in diesem Verein, wir haben eine gute Mischung im Vorstand aus Jung und Alt. Für einige ist diese Arbeit noch Neuland, aber wir lernen. Wir alle treten an, um gemeinsam mit viel Enthusiasmus, Transparenz und Kompetenz neu durchzustarten. Ich bin davon überzeugt, dass das funktionieren wird.
Welche Lasten muss die neue Vereinsführung aus der Vergangenheit mit übernehmen?
Liebig: Was das Finanzielle betrifft, sieht es gar nicht so schlecht aus. Auf der Mitgliederversammlung hat unser Wirtschaftsprüfer den Abschluss für 2015 und den Ist-Stand vorgestellt. Ich kann sagen, dass sich unser Verhältnis zur Stadt deutlich verbessert hat, dass finanziell alle Sachverhalte, die uns in den vergangenen zwei Jahren eingeholt haben, abgearbeitet sind, zum Beispiel auch das Thema Soccer-Mobil.
Sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen?
Liebig: Nein, sie laufen immer noch. Wir haben weder die beschlagnahmten Unterlagen zurück noch Informationen über den Stand dieser Ermittlungen. Ich kann also dazu nichts sagen. Das war und ist für die alten Vorstände eine riesige Belastung.
Sind die finanziellen Auswirkungen des Landesliga-Rückzugs geklärt, und wie reagieren die Sponsoren?
Liebig: Die finanziellen Auswirkungen des Rückzugs dieser Mannschaft sind klar und überschaubar. Mit den Sponsoren haben wir gesprochen. Sie beobachten genau, wie sich unser Verein weiterentwickelt. Bei uns ist ja das Präsidium für das Wirtschaftliche zuständig. In meiner Doppelfunktion als Präsident und Vorstandsvorsitzender bin ich angesichts der andauernd akuten Probleme allerdings viel zu wenig dazu gekommen, mich darum gemeinsam mit den anderen Präsidiumsmitgliedern zu kümmern. Das wird sich jetzt ändern.
Wie geht es jetzt konkret weiter?
Twupack: In der Politik hat man 100 Tage Einarbeitungszeit. Wir haben diese Zeit nicht, weil viele Dinge möglichst schnell auf den Weg gebracht werden müssen. Im Vorstand haben wir Arbeitsgruppen gebildet und in der reichlichen Woche seit der Wahl schon dreimal auch spätabends zusammengesessen.
Was wird aus der verbliebenen Männermannschaft. Einige Spieler wollen in der Winterpause wohl wechseln. Spielt die Mannschaft die Saison zu Ende, und was wird in der neuen Saison?
Twupack: Zunächst einmal bin ich davon überzeugt, dass unsere Kreisoberliga-Mannschaft die Saison zu Ende spielt. Wir müssen bis zum 30. April melden, ob wir in der neuen Saison Landesklasse spielen wollen. Das wünschen wir, daran arbeiten wir, aber heute zu sagen, ob uns das gelingt, wäre Kaffeesatzleserei. Was Spieler für diese Mannschaft betrifft, bin ich vielleicht auch etwas blauäugig. Ich appelliere dabei auch an den Lokalpatriotismus der Fußballer aus der Region und hoffe, dass wir viele Spieler gewinnen können. In dem Zusammenhang ist es mir auch wichtig, das Verhältnis zu den Vereinen in unserem sportlichen Umfeld zu verbessern. Wir signalisieren Gesprächsbereitschaft und könnten uns gemeinsam für eine bessere Unterstützung durch den DFB einsetzen. Was den Nachwuchs betrifft, läuft es ja schon gut. Im Kleinfeldbereich gehören wir, was die Anzahl der Delegierungen an die Sportschule betrifft, in Sachsen zur Spitze, und im Großfeldbereich sind die Spielgemeinschaften mit Niesky oder auch anderen Vereinen der richtige Weg.
Herr Twupack, was macht Ihnen Mut in der neuen Funktion?
Ich habe viel Zuspruch in den wenigen Tagen seit der Wahl erhalten. Alle sind froh, dass es beim NFV weitergeht. Wenn ich mich erinnere, wie die Einlaufkinder beim Derby gegen Holtendorf mitgefiebert haben und mich danach beim Süßigkeitenverteilen Kinderaugen glücklich und erwartungsfroh angeschaut haben, bekomme ich Gänsehaut und weiß, wofür ich diese Arbeit mache.
Sie sind für die nächsten vier Jahre gewählt. Was würden Sie sich wünschen, wo der Verein dann steht?
Twupack: Dass wir weiter leistungsorientierten Fußball spielen. Es wäre schön, wenn unsere Männermannschaft dann wieder Landesliga spielt, auch wenn ich weiß, dass das ein hohes, ehrgeiziges Ziel ist. Ich hoffe, dass dann mehr Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in dieser Mannschaft spielen. Und ich hoffe, dass der personelle Umbruch, den wir jetzt erlebt haben, Früchte trägt.
Liebig: Ich wünsche mir, dass der Nachwuchs dann konzentriert im Stadion der Freundschaft trainiert und spielt und die Männer in einer besser ausgestatteten ,Jungen Welt’ auflaufen. Über all das hinaus hoffe ich auf eine verbesserte Zusammenarbeit in dieser Stadt.